Ein strahlender Wintertag
Es war einer jener Wintertage, an denen sich der Säntis von seiner schönsten Seite zeigte: ganz in Weiss, eingehüllt in glitzernden Schnee und überstrahlt von wärmender Sonne. Ein Tag zum Staunen. Pius und seine Frau Rita wollten ihn nutzen und den Säntis zu besuchen. Während Rita am Schalter die Tickets besorgte, holte Pius rasch die Wanderschuhe aus dem Auto – eine kleine Nebensache, die sich als Anfang einer aussergewöhnlichen Geschichte entpuppte.
Ein Gespräch über Grenzen hinweg
Auf dem Weg zum Parkplatz entdeckte Pius eine junge Frau, die mit neugierigem Blick zum Gipfel hinaufschaute – fasziniert vom Schnee, den sie zum ersten Mal so erlebte. Offen und gesprächig wie immer, kam er mit ihr ins Gespräch. Sie hiess Zoe, kam aus China und war auf Europareise. Die Worte stolperten zwar ein wenig, doch mit Händen, Lächeln und ein paar Brocken Englisch verstanden sie sich überraschend gut. Als Pius kurz darauf zu Rita zurückkehrte, brachte er nicht nur die Wanderschuhe mit – sondern auch Zoe. Rita staunte überrascht, dann lachte sie herzlich.
So fuhren sie zu dritt mit der Säntis-Schwebebahn hinauf. Oben angekommen, strahlte die Sonne, und der Blick öffnete sich weit bis in sechs Länder. Gemeinsam erkundeten sie die Erlebniswelt, suchten bekannte Gipfel am Horizont und tauschten Geschichten aus: über das Leben in der Schweiz und in China.
Zum Zmittag gab es Rösti mit Bratwurst und Zwiebelsauce – ein Genuss, den Zoe mit leuchtenden Augen kostete. „Very good!“, rief sie begeistert. Später sassen sie bei Kaffee und Kuchen, lachten viel und liessen Zoe in die Schweizer Traditionen und Bräuche eintauchen.
Eine Einladung nach Shanghai
Als die Sonne sich langsam senkte, war es Zeit für die Talfahrt. Doch Zoe hatte noch eine Überraschung: eine Einladung zu ihrer Hochzeit in Shanghai. Geschrieben in chinesischen Schriftzeichen, eine Geste welche die beiden sehr berührte.
Ein Jahr später war es so weit. Pius und Rita reisten nach China, erst nach Peking, dann weiter nach Shanghai. Die Hochzeit war prachtvoll: 600 Gäste im Four Seasons, Musik, Lichter, ein reich gedecktes Buffet. Zoe wechselte die Kleider wie Kapitel eines Festes – zuerst Weiss, dann Beige, später Hellblau und zum Schluss ein leuchtendes Rot. Sogar die Teppichfarben passten sich an. Zwischen vielen Reden und Anekdoten auf Chinesisch hörten Pius und Rita plötzlich ihre Namen. Kurz darauf standen sie auf der Bühne und erzählten auf Englisch, wie sie Zoe kennengelernt hatten – auf dem Säntis, ihrem Hausberg.
Wiedersehen auf dem Säntis
Nach der Hochzeit brachen Pius und Rita zu einer Rundreise durch China auf – von der Terrakotta-Armee bis in entlegene Bergdörfer. Ein Jahr später folgte der Gegenbesuch: Zoe kam in die Schweiz. Ganz oben auf ihrer Liste stand, wie könnte es anders sein, das Wiedersehen auf dem Säntis.
Als Zoe erneut auf dem Gipfel stand, strahlte sie wie damals. Seit jener ersten Begegnung halten Rita und Zoe Kontakt – per E-Mail, über Kontinente hinweg. Und bald, heisst es, wird Zoe wiederkommen. Natürlich mit einem festen Plan: noch ein Tag auf „ihrem“ Säntis.
Und wenn man im Leben die Augen offen hält und bereit ist für Fremdes, beschert es eine aussergewöhnliche Überraschung. Mein Säntis. Für Augenblicke, die verbinden und für Begegnungen, die bleiben.